Hat die Mitbestimmung noch Zukunft?
Diskussion zum Zustand der Sozialpartnerschaft
Die Veränderungen in der politischen Landschaft Österreichs haben gezeigt, dass die Gewerkschaften vor großen Herausforderungen stehen und nichts mehr als selbstverständlich hingenommen werden kann. Das war die Ausgangslage einer Diskussionsrunde zum Thema „Zukunft der Mitbestimmung“ am zweiten Tag des 4. vida-Gewerkschaftstag im Austria Center Vienna. Im Zuge der Podiumsdiskussion wurden Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der sozialpartnerschaftlichen Mitbestimmung analysiert.
Die Sozialpartnerschaft war ursprünglich ein Riesen-Friedensprojekt. Die Idee war, die sogenannten gesellschaftlich relevanten Gruppen zu einem sozialen Kompromiss zusammenzuführen, sagte Roman Hebenstreit, Vorsitzender der Gewerkschaft vida. Es kann nicht sein, dass man nur mit den Sozialpartnern spricht, wenn man gemeinsame Vorstellungen hat, will Hebenstreit keinen „Orchideenverband“. „Es geht um Machtausgleich und wir müssen zu dieser Gegenmacht werden, damit wir ArbeitnehmerInnen auch unterstützen können. Hebenstreit ist sehr stolz darauf, dass die vida auf die Straße gegangen ist und Menschen auf das Thema Mitbestimmung angesprochen hat. Er spricht sich dafür aus mehr Werbung für die Mitbestimmung in den Betrieben und bei der AK-Wahl zu machen.
Ich möchte nicht, dass man die Sozialpartnerschaft auf einen Orchideenverband reduziert!
Roman Hebenstreit, vida-Vorsitzender
ÖGB-Vizepräsidentin und ÖGB-Frauenvorsitzende Korinna Schumann betonte bei der Diskussion, dass es bei der Mitbestimmung darum geht, den ArbeitnehmerInnen eine Stimme zu geben und dafür gilt es zu werben. Die Menschen müssen sehen, dass Zusammenhalt wichtig ist und sich auszahlt. Man kann alles erreichen, wenn man es gemeinsam macht. Frauen sind eine Gruppe, die, wenn man sie gewinnt, dabeibleiben. „Sie geben nicht so schnell auf. Sie kämpfen auch in schlechteren Zeiten weiter. Ein Hoch diesen mutigen Frauen!“, betonte Schumann. Die ÖGB-Vizepräsidentin unterstrich auch, dass sich die Gewerkschaften öffnen. Es gehört Mut dazu, Verantwortung zu übernehmen und sich für andere einzusetzen, lobte Schumann die ÖGB-MitarbeiterInnen und die BetriebsrätInnen.
Die demokratische Mitbestimmung ist ein Juwel.
Korinna Schumann, ÖGB-Vizepräsidentin und ÖGB-Frauenvorsitzende
Susanne Hofer, Vorsitzende der österreichischen Gewerkschaftsjugend (ÖGJ), sagte, um mitbestimmen zu können, muss man mutig sein. Die Gewerkschaften und die ÖGJ wollen den Leuten zeigen, vor allem der Jugend, dass sie mutig sein können. Zur Zukunft der Sozialpartnerschaft meinte sie, dass es auch in Zukunft eine Partnerschaft braucht. Schließlich gibt es gemeinsame Interessen wie zum Beispiel Ausbildungsplätze und -qualität sowie Fachkräftenachwuchs.
Um mitbestimmen zu können, muss man mutig sein.
Susanne Hofer, Vorsitzende der österreichischen Gewerkschaftsjugend (ÖGJ)
Die Politologin Alexandra Strickner, attac-Mitgründerin und Expertin für Welthandel, ist der Ansicht, dass mittlerweile viele glauben, dass Wählen nichts bringt, vor allem jene in prekären Lebenslagen. Aber Mitbestimmung ist viel mehr, als nur wählen zu gehen. Das muss den Menschen vermittelt werden. Insofern ist die Frage des guten Lebens eine ganz wichtige. Es ist eine Herausforderung, die Sozialpartnerschaft, die sich in den letzten zehn Jahren grundsätzlich verändert hat, in die Zukunft zu denken. Um eine Gegenmacht aufzubauen, muss man sich organisatorisch sehr stark machen und neue Allianzen aufbauen, unterstrich Strickner.
Die Frage des guten Lebens ist eine ganz wichtige.
Alexandra Strickner, Politologin und attac-Mitbegründerin
Der Politikwissenschaftler und Autor Tobias Hinterseer warnte vor dem Hintergrund der Diskussion um das Ende der Sozialpartnerschaft:
Wenn Machtzugänge nicht mehr vorhanden sind, setzt sich in der Regel das Interesse des Kapitals durch.“
Tobias Hinterseer, Politikwissenschaftler und Autor
Bisher hat es aber einen Commitment gegeben, trotz der Unterschiede, ein gegenseitiges Verständnis zu haben. Das ist in den letzten Jahren abhandengekommen. Wissenschaftlich betrachtet lebt die Mitbestimmung ganz stark von den Rahmenbedingungen. Mit der Sozialpartnerschaft wurde vor Jahrzehnten ein Rahmen geschaffen, den es kaum woanders gibt. Dieser ist aber in einer ganz neuen Härte von einer Seite ganz stark verlassen worden, so der Politologe.